Bildergalerien

Lust und Grausen scheinen einander verschwistert.
Jedenfalls kann eins das Andere steigern wie sonst nichts und dem Erlebnis den haut gout vermitteln, den es als einfaches und in Einfachheit erwartbares nicht hätte. Gesichert scheint die Wirklichkeit, aber ihre Grenzen sind nicht allzu weitgedehnt, und wo das Licht seine klare Kraft verliert, regen sich die Schatten und Schemen. Das Unheimliche ist zwar nicht heimelig - das wäre sein Gegensatz -, sondern heimlich, und die Pfade, auf die es die Begierigen lockt, sind geheime. Was nicht erklärbar ist, bleibt Geheimnis, was sich entzieht, weckt dunkle Wünsche, und was diesen dann sichtbarlich sich zu offenbaren scheint, mag denn doch wohl alle Reize der Verführung haben. Der Schlaf der Vernunft erzeugt Ungeheuer, wie einer von Goyas Sprüchen sagt, aber es ist an dem, daß im Schlaf und seinen Träumen das sein Recht behauptet, was von der wachen Vernunft in den Untergrund verbannt worden ist; wer hätte das besser gewußt als Goya selbst, den es derart bedrängte. Die Ratio ist allem Irrationalen feindlich, nur das Rechte soll richtig sein. Die Renaissance glaubte den Spuk des Spätmittelalters zu überwinden durch eine klare Ordnung alles Dargestellten in Symmetrie und rechtem Maß, doch allem Bedrängenden versagte sich diese Methode, und dessen gab es mehr als tragbar war, aber es ließ sich erst in Darstellung bannen, als man die verkrusteten Ordnungen durch Momente der Unordnung sprengte. Immer war dann das Eine des Anderen Widerpart; Goyas Schrecken begleiteten die Aufklärung. Das Phantastische hat einen betäubenden Duft, ihn als ungesund zu schelten, makaber, morbid, dekadent, mochten viele saubere Ehrenmänner sich berufen fühlen, und zum bösen Wort von der Entartung ist es dann nicht weit. Aber über die Sphäre des Märchens, das man unverdächtig fand, wucherte es hinaus, und ob es die großen Moralisten unter den Erzählern nur als ein Mittel der Erziehung einsetzen wollten, mag dahingestellt sein, auch sie haben seine Verführungskraft verspürt. Im Grunde ist es allgegenwärtig, auch in der Kunst, in der die Meisterschaft der Darstellung selbst dem Tod und der Verwesung ihre ganz eigene Schönheit zu geben vermag. Das Chthonische hat in den Mythologien, das Eschatlogische in den Religionen stets seinen Platz gehabt. Der aufgeklärte Mensch aber in seiner greifbaren Diesseitigkeit erlebte erst wirklich die Gespenter. Er lebt mit ihnen, ob er will oder nicht. Fast säkularisiert erscheint das ewige Geheimnis von Leben, Tod und Unsterblichkeit im Motiv des Vampirs, er hat seine große Zeit seit Byron, Hoffmann und Goethe, es wäre müßig alle Großen zu nennen, die seither von ihm künstlerisch Zeugnis gaben; was selbst ins Triviale sich auswirkt, muß Kraft haben. Blut als Stoff des Lebens und des Überlebens jenseits der Grenzen des Todes: es ist berauschend. Formen, Farben, Körper blühen anders unter dieser Vorgabe. Es mag durchaus fiebrig sein, fahl und finster, schwül sogar, gärend, miasmisch, phosphorisierend, die körperlichen Grenzen mögen sich verwischen, schwellend mag es sein, wabernd. Überall mögen Augen sich auftun, Münder schlürfen, Gliedmaßen umgarnend sich winden. Und da mag eine Majestät sein zwischen dem Herrn über Leben und Tod und uns, eine vielleicht heidnisch-tragische. Ars aeterna, was zur Kunst wird, ist ewig, seinem Wesen nach, und so mag es mit dem Werk von Klaus Girnus bestellt sein. Sein Studium hat ihn sensibel gemacht für die Ambivalenz dieses Themas, aber auch für seine Opulenz. Das vermeintlich Sündhafte, das Abseitige - letztlich hat er sich zu ihm bekennen müssen - ist schwelgerisch. Das Licht aber über allem Licht durchstrahlt Alles, auch die dunklen Schleier. Und wir werden, in der rechten Vermischung von Lust und Grausen, Grausen und Lust, fasziniert sein von dem, was, jenseits unseres simplen Begreifens, mächtig ist, weil es das Leben bezeugt über seine allzu diesseitigen Grenzen hinaus.

Mala/Lanzarote, 17 IX. 2002
Franz Joseph van der Grinten
Roman: Vampire unter uns (89)

Titelblatt

Seite 1

Seite 2

Seite 3

Seite 4

Seite 5

Seite 6

Seite 7

Seite 8

Seite 9

Seite 10

Seite 11

Seite 12

Seite 13

Seite 14

Seite 15

Seite 16

Seite 17

Seite 18

Seite 19


1 bis 20 von 89 vorwärts
zurück zur Startseite